AES und OES (Alkohol-Entzugs-Syndrom und Opiat-Entzugs-Syndrom)
Alkohol-Entzugs-Syndrom
Das Alkohol-Entzugs-Syndrom weist Krankheitserscheinungen auf, die nach Unterbrechung oder abrupter Verminderung des Alkoholkonsums auftreten. Ähnliche Erscheinungen werden beim Entzug von Substanzen vergleichbarer Wirkung, vor allem bei Schlaf- und Beruhigungsmitteln und Opiaten beobachtet. Sie lassen sich durch erneuten Konsum des Mittels wieder schnell beseitigen. Leichtere Formen des Entzugs-Syndroms sind seit Jahrhunderten bekannt und wurden lange Zeit von den Folgen eines Alkoholrausches („Kater“) nicht unterschieden. Das Alkohol-Entzugs-Syndrom wurde aber jedoch 1953 fachwissenschaftlich beschrieben und in seiner Entstehung aufgeklärt. Das klinische Bild ist charakterisiert durch eine Vielzahl von Symptomen in verschiedenen Organsystemen, die in unterschiedlicher Intensität auftreten können und einige Tage bis wenige Wochen andauern. Die wichtigsten sind:
Magen-Darm-Störungen: Appetitstörungen, Brechreiz, Erbrechen, Durchfälle. Vegetative Störungen: Schweißneigung, Schlafstörungen. Kreislaufstörungen: Herzklopfen, Pulsbeschleunigung. Neurologische Störungen: Zittern, Gleichgewichtsstörungen, epileptische Anfälle. Psychische Störungen: Angst, vermehrte Reizbarkeit, Depressionen, Gedächtnisstörungen, auch Störungen der Bewußtseinslage und Sinnestäuschungen (Halluzinationen).
Feuerlein 1997: 49f.
Opiat-Entzugs-Syndrom
Zu dem charakteristischen Morphin- bzw. Heroin-Entzugssyndrom (syn. Abstinenzsyndrom) kommt es, wenn dem Abhängigen das Opiat plötzlich entzogen wird.
Es ist gekennzeichnet durch „gegenregulative“ Symptome zentraler Erregung wie lang anhaltender Schlaflosigkeit, die auch nach dem eigentlichen Entzug andauert, neben schwersten depressiven und Angstzuständen sowie vegetativen Erscheinungen wie Zittern, Schwindelgefühlen, tagelangem quälendem Husten mit Erbrechen, Durchfall, Naselaufen, Nervenschmerzen, Anstieg von Körpertemperatur, Atemfrequenz und Blutdruck neben äußerst schmerzhaften, kolikartigen Unterleibs- und Muskelkrämpfen.
Geschwinde 1996: 276f.
Bacon
THE CASE FOR CONCEPTUAL CONFUSION
In referring to the universe, John opens his gospel with, „In the Beginning was the Word.“ His very next sentence indicates the comprehensiveness, clarity, even infinite coherence of his meaning: „And the Word was God.“
Almost 2000 years later two Scandinavian experts, not sanctified, speaking to an international congress, addressed the topic „Alcohol Problems: The Conceptual Framework“ with these opening sentences: “ I. The Great Confusion: From the outset, the conceptual framework seems to be all chaos. The words employed are as many as pebbles on the beach…. When one … puts the key concepts together, the end-result bears a considerable resemblance to a psychedelic picture.“ Granted that there is some justification to these 1968 observations by Christie and Bruun [12], how can we explain this apparent fall from grace – at least in this one aspect of the universe?
These authors first offered four observations on this chaotic condition: (1) the major split between conceptions dealing with alcohol and conceptions dealing with (other) drugs; (2) the tendency of those concerned with alcohol to find unifying features among bad users, and of those concerned with drugs to find unifying features among bad substances; (3) the intense emotionality accompanying definitions and ideas in both areas; and (4) the inadequacy and imprecision of key words and definitions. Selecting the last of these observations for major consideration, Christie and Bruun noted the vagueness of such terms as dependence, habituation, addiction, and then pointed out that these „big, fat words without very much content“ are eagerly and persistently used because they are socially functional: they serve to guarantee maintenance of the status quo; at the least as avoidance of new uncertainties, they reinforce power ideas and power structures; they allow viability to traditional inconsistencies in values and act as „grease in the social machinery.“ Despite such values and despite the fear that change might create superficial complications in current communications, these authors called for the early extinction or drastic alteration of the „big, fat words“ and for more precise, refined, and clarified conceptualization.
Bacon 1976: 57f.
Diagoras
Die Verführungskraft zu immer erneuter Verwendung, die im Opium liegt, wird – dafür sprechen nun millionenfache Erfahrung und die Artung des Menschen – auch Gebraucher aus leidenschaftlicher Sucht sich in einen weltfremden Zusatnd zu versetzen, geschaffen haben, auch in Rom und Griechenland, wo schon die kurzen Schilderungen seiner Gewinnung von Naturkundigen, wie von Theophrast aus dem dritten Jahrhundert vor, oder von Plinius und Dioskurides aus dem ersten Jahrhundert nach der jetzigen Zeitrechnung, erkennen lassen, wie gut man auch die Giftwirkungen des Stoffes erkannt hatte, die so hoch eingeschätzt wurden, daß Diagoras aus Melos schon im fünften und Erasistratus im dritten vorchristlichen Jahrhundert rieten, das Opium aus dem Grunde ganz zu meiden.
Lewin 1927: 56f.
Er [Diagoras aus Melos] war wohl der erste Arzt, der zwei Eigenschaften des Opiums beschrieb, die über die medizinische Anwendung hinausweisen, nämlich, daß es zu immer neuer Verwendung verführe und dem, der ihm hörig sei, den Sinn für die Wirklichkeit raube.
Seefelder 1990: 34
… und bereits im 5.Jahrhundert warnte der Arzt Diagoras aus Melos wegen der erheblichen Suchtgefahr vor einer allzu unbedenklichen Anwendung der Droge.
Kupfer 1996b: 14
Feuerlein
Das Alkoholdelir (Delirium tremens) ist eine relativ häufige Erkrankung, an der etwa 5-15 % aller Alkoholiker erkranken, von denen etwa 20 % weitere Delirien im späteren Verlauf ihrer Alkoholkarriere durchmachen. Das Alkoholdelir tritt nur nach jahrelangem schweren Alkoholmißbrauch (aller Alkoholika einschließlich Bier) auf, häufig nach kontinuierlichem Trinken. Als Vorboten finden sich meist Zeichen, die auch beim Alkohol-Entzugs-Syndrom (s. Kap. IV.1) zu beobachten sind. Man hat das Alkoholdelir deswegen auch als die höchste Stufe des Alkohol-Entzugs-Syndroms angesehen. Tatsächlich tritt es häufig nach einem Alkohol-Entzug auf, oft auch in Zusammenhang mit einer anderen akuten Erkrankung (z.B. Unfall, Lungenentzündung, Operation). Es gibt jedoch Fälle, bei denen sich keine nennenswerte Reduktion des Alkoholkonsums vor dem Ausbruch des Alkoholdelirs wahrscheinlich machen läßt. Die ersten Erscheinungen sind meist Zittern, Schwitzen, Angst und Magen-Darm-Störungen. Manchmal beginnt es mit einem epileptischen Krampfanfall. Innerhalb kurzer Zeit entwickelt sich dann das Vollbild des Delirs. Die Kranken sind erregt, nicht im Bett zu halten und laufen hin und her. Sie sind desorientiert, vor allem hinsichtlich Ort, Zeit und Situation, während sie über ihre Personalien noch Bescheid wissen. Häufig sind Verkennungen und Halluzinationen, meist optischer Art (z.B. kleine bewegte Gegenstände wie Fäden und Mücken; die sprichwörtlichen „weißen Mäuse“ werden selten genannt). Manche Kranke sind ausgesprochen kritiklos und leicht suggestibel. Ihre Stimmung ist schwankend, manchmal heiter, dann wieder ängstlich und gereizt. Sie sind schlafgestört, haben einen schnellen Puls (Tachykardie), manchmal auch Fieber. Die Krankheit dauert unbehandelt meist etwa 4-10 Tage und klingt dann wieder ab, sofern sie nicht zum Tod führt. Die Behandlung muß immer stationär durchgeführt werden. Unbehandelt sterben etwa 15 % der Patienten innerhalb weniger Tage. Erst seit wenigen Jahrzehnten gibt es eine wirksame Therapie. Trotzdem beträgt die Sterberate immer noch etwa 1 %.
Alkohol führt nicht selten zu verschiedenartigen Bewegungsstörungen, von denen das Zittern (Tremor) die häufigste ist. Tremor ist eine Störung, die verschiedene Ursache haben kann, z.B. chemische Substanzen. Bei bestimmten Formen ist die Ursache unbekannt oder wird mit psychischen Störungen in Verbindung gebracht. Es ist deswegen nicht überraschend, daß Alkohol hier therapeutisch wirksam sein kann. Der alkoholische Tremor betrifft besonders die Extremitäten. Er tritt am häufigsten beim Alkoholentzug und beim Alkoholdelir auf, weshalb dieses ursprünglich „Delirium tremens“ genannt wurde. Manche Tremorarten hängen auch mit alkoholbedingten Lebererkrankungen und Kleinhirnschädigungen zusammen.
Feuerlein 1997: 59
Hess
The Enigma
The reason why opium’s long history is an enigma is that today’s main narcotics problem -addiction – appears to have been almost unknown. Reported are only one isolated epidemic in China around 1400 (about which too little is known todiscuss it at the present time), a few cases of what may have been abuse, and some warnings far apart geographically and chronologically.
In view of opium’s pharmaceutical qualities and its wide use, we believe that physical dependence on the drug must have indeed existed; it would be very difficult to imagine that this was not the case. As far as we know, however, drug dependence was apparently hardly ever recognized and described as such throughout this long period. … Secondly the symptoms of opium abuse became clarified only in the course of time. While medical statements on the bad effects of opium were vague at the beginning of the century, the precise description of the drug habit with stress on dependence and tolerance became available toward the end of the period. Without this clarification. the definition of addiction had been still incomplete.
Thus, if there were so few testimonies of addiction in times prior to the eighteenth century, it may well have been that drug dependence, while probably existent, may have occurred relatively less frequently then, because this dependence had not yet been defined as such. Or in other words, people taking opium remained often immune against addiction simply because they did not know that there was such a phenomenon.
Hess 1971: 588ff..
Homer
Aber ein andres ersann nun Helena, Tochter Kronions;
Schnell in den Wein warf jene, von dem sie tranken, ein Mittel,
Kummer zu tilgen und Groll und jeder Leiden Gedächtnis.
Kostet einer davon, nachdem in dem Krug es gemischt ward,
Nicht an dem ganzen Tag benetzt ihm die Träne das Antlitz.
Nicht, ob selbst gestorben ihm wär auch Mutter und Vater,
Nicht, ob den Bruder vor ihm, ob selbst den geliebtesten Sohn ihm
Tötete feindliches Erz, und er mit den Augen es sähe.
Solcherlei Würze der Kunst hatt‘ Helena, Tochter Kronions,
Heilsamer Kraft, die einst die Gemahlin Thons, Polydamna,
Ihr in Ägypten geschenkt, wo viel die nährende Erde
Trägt der Würze zu guter und viel zu schädlicher Mischung.
Aus Homer´s Odyssee, cit. in Seefelder 1990: 32f
Kämpfer
Schah Abbas I. (1587-1628) war sehr tätig, wo es galt, die Bewirtschaftung seiner Länder zu fördern. Aber er war auch ein äußerst strenger Sittenrichter seiner Untertanen. Als er daher wahrnahm, daß das Opium, das ist der Saft der Mohnköpfe, mit Heftigkeit von seinen Untertanen begehrt wurde, fand er, diese Art von Genußmittel sei seinem Volke verderblich, da es die Menschen leichtsinnig, stumpf und zur Arbeit untauglich machte. Denn um nur dem Opiumgenusse zu frönen, warf das arme Volk sein Geld unnütz weg, weil die Leute lieber auf die regelrechte Nahrung als auf das Opium verzichten wollten. Und die Felder, die Früchte tragen sollten, wurden mit Mohn besät, also ihrer eigentlichen Bestimmung zum Schaden der Menschen entzogen. Also verbot Abbas den Anbau, Handel und Genuß des Opiums bei Todesstrafe im ganzen Lande. Harte Strafe wurde auch dem angedroht, der versuchen werde, die Durchführung dieser Maßregel zu behindern. Infolge der plötzlichen Entziehung des Giftes, an das die Natur sich gewöhnt hatte, kam Siechtum und Sterben über die Menschen und raffte mehr hin, als die Opiumpest selbst. Niemand wagte, dem Schah die Gründe dafür zu nennen und um Zurücknahme des Verbotes zu bitten. Da machte Kalenajet, der Hofnarr des Schahs Abbas, folgenden Vorschlag: `Wenn morgen der Schah zum Garten reitet, so führt ihn nicht über die Brücke, sondern den andern Weg über den Kornmarkt. Ich werde dort stehen und eure Sache führen.A
Als man ihm das versprochen, läßt er an jenen Platz Haufen von dem Leinenstoff schaffen, worin nach religiösem Brauch die Leichen eingehüllt werden, wozu jedesmal acht Ellen für einen Erwachsenen gebraucht wurden. Da er die Ware für einen billigen Preis abgab, strömte eine Menge Käufer zusammen. Während der Verkäufer mit Feilbieten, Auseinanderrollen und Ausmessen der Ware eifrig beschäftigt ist, reitet der Schah vorbei und frägt nach der Ursache des Auflaufs. Man bemerkt ihm, Kalenajet sei dort und halte Leintuch feil für Leichenhüllen. Der König reitet heran und spricht Kalenajet vergeblich an. Dieser bittet den König, ihn nicht zu unterbrechen. Als der König auf seiner Frage beharrt, bekommt er schließlich folgende Antwort: `Erhabener Herr, seitdem Du das Opium verboten hast, habe ich mich, um reich zu werden, diesem Geschäft zugewandt. Und es geht ausgezeichnet! An einem einzigen Tage kann ich ebensoviel verdienen, wie bei Hofe mit Katzebuckeln, Hanswurstereien und Herumschmarotzen kaum im ganzen Jahre. Ich wünsche Dir und den Deinen alles Gute. Ich für meine Person werde hier bleiben, solange Dein Gesetz in Kraft ist.A
Der Schah ist verblüfft über diese Antwort; er reitet gedankenvoll weiter und beendet früher als gewöhnlich seinen Spazierritt. Er fordert von seinem Kanzler Aufschluß über die Angelegenheit. Das Resultat ist, daß er unverzüglich das Verbot aufhebt und überall bekanntmachen läßt, daß Verkauf, Genuß und Anbau des Opiums wieder freigegeben sei. Daraufhin ist dann auch die Seuche erloschen.
SQ Kämpfer 1712,
cit. in Seefelder 1990: 72f.
Kant
Die Einbildungskraft zu erregen oder zu besänftigen, gibt es ein körperliches Mittel in dem Genusse berauschender Genießmittel, deren einige als Gifte die Lebenskraft schwächend (gewisse Schwämme, Porsch, wilder Bärenklau, das Chica der Peruaner und das Ava der Südseeindianer, das Opium); andere sie stärkend, wenigstens ihr Gefühl erhebend (wie gegorne Getränke, Wein und Bier, oder dieser ihr geistiger Auszug, Branntwein), alle aber widernatürlich und gekünstelt sind … Alle diese Mittel aber sollen dazu dienen, den Menschen die Last, die ursprünglich im Leben überhaupt zu liegen scheint, vergessen zu machen. [ … 1 Alle stumme Berauschung. d. i. diejenige, welche die Geselligkeit und wechselseitige Gedankenmitteilung nicht belebt, hat etwas Schändliches an sich; dergleichen die vom Opium und dem Branntwein ist. Wein und Bier … dienen zur geselligen Berauschung; wobei doch der Unterschied ist, daß die Trinkgelage mit dem letzteren mehr träumerisch verschlossen, … die aber mit dem ersteren fröhlich, laut und mit Witz redselig sind.
Aus: Kant, Immanuel, `Anthropologie in pragmatischer HinsichtA, hg. von W.Becker, Stuttgart 1983, S. 90 f.
Novalis
Hymnen an die Nacbt, 1800
[Athenaeumsdruck]
1.
Welcher Lebendige, Sinnbegabte, liebt nicht vor allen Wundererscheinungen des verbreiteten Raums um ihn, das allerfreuliche Licht – mit seinen Farben, seinen Strahlen und Wogen; seiner milden Allgegenwart, als weckender Tag. Wie des Lebens innerste Seele atmet es der rastlosen Gestirne Riesenwelt, und schwimmt tanzend in seiner blauen Flut – atmet es der funkelnde, ewigruhende Stein, die sinnige, saugende Pflanze, und das wilde, brennende, vielgestaltete Tier – vor allen aber der herrliche Fremdling mit den sinnvollen Augen, dem schwebenden Gange, und den zartgeschlossenen, tonreichen Lippen. Wie ein König der irdischen Natur ruft es jede Kraft zu zahllosen Verwandlungen, knüpft und löst unendliche Bündnisse, hängt sein himmlisches Bild jedem irdischen Wesen um. – Seine Gegenwart allein offenbart die Wunderherrlichkeit der Reiche der Welt.
Abwärts wend ich mich zu der heiligen, unaussprechlichen, geheimnisvollen Nacht. Fernab liegt die Welt – in eine tiefe Gruft versenkt- wüst und einsam ist ihre Stelle. In den Saiten der Brust weht tiefe Wehmut. In Tautropfen will ich hinuntersinken und mit der Asche mich vermischen. – Fernen der Erinnerung, Wünsche der Jugend, der Kindheit Träume, des ganzen langen Lebens kurze Freuden und vergebliche Hoffnungen kommen in grauen Kleidern, wie Abendnebel nach der Sonne Untergang. In andern Räumen schlug die lustigen Gezelte das Licht auf. Sollte es nie zu seinen Kindern wiederkommen, die mit der Unschuld Glauben seiner harren?
Was quillt auf einmal so ahndungsvoll unterm Herzen, und verschluckt der Wehmut weiche Luft? Hast auch du ein Gefallen an uns, dunkle Nacht? Was hältst du unter deinem Mantel, das mir unsichtbar kräftig an die Seele geht? Köstlicher Balsam träuft aus deiner Hand, aus dem Bündel Mohn. Die schweren Flügel des Gemüts hebst du empor. Dunkel und unaussprechlich fühlen wir uns bewegt,- ein ernstes Antlitz seh ich froh erschrocken, das sanft und andachtsvoll sich zu mir neigt, und unter unendlich verschlungenen Locken der Mutter liebe Jugend zeigt. Wie arm und kindisch dünkt mir das Licht nun – wie erfreulich und gesegnet des Tages Abschied. – Also nur darum, weil die Nacht dir abwendig macht die Dienenden, säetest du in des Raumes Weiten die leuchtenden Kugeln, zu verkünden deine Allmacht – deine Wiederkehr – in den Zeiten deiner Entfernung. Himmlischer, als jene blitzenden Sterne, dünken uns die unendlichen Augen, die die Nacht in uns geöffnet. Weiter sehn sie, als die blässesten jener zahllosen Heere – unbedürftig des Lichts durchschaun sie die Tiefen eines liebenden Gemüts – was einen höhern Raum mit unsäglicher Wollust füllt. Preis der Weltkönigin, der hohen Verkündigerin heiliger Weiten, der Pflegerin seliger Liebe – sie sendet mir dich – zarte Geliebte – liebliche Sonne der Nacht, – nun wach ich – denn ich bin Dein und Mein – du hast die Nacht mir zum Leben verkündet – mich zum Menschen gemacht – zehre mit Geisterglut meinen Leib, daß ich luftig mit dir inniger mich mische und dann ewig die Brautnacht währt.
2.
Muß immer der Morgen wiederkommen? Endet nie des Irdischen Gewalt? Unselige Geschäftigkeit verzehrt den himmlischen Anflug der Nacht. Wird nie der Liebe geheimes Opfer ewig brennen? Zugemessen ward dem Lichte seine Zeit; aber zeitlos und raumlos ist der Nacht Herrschaft. – Ewig ist die Dauer des Schlafs. Heiliger Schlaf – beglücke zu selten nicht der Nacht Geweihte in diesem irdischen Tagewerk. Nur die Toren verkennen dich und wissen von keinem Schlafe, als dem Schatten, den du in jener Dämmerung der wahrhaften Nacht mitleidig auf uns wirfst. Sie fühlen dich nicht in der goldenen Flut der Trauben – in des Mandelbaums Wunderöl, und dem braunen Safte des Mohns. Sie wissen nicht, daß du es bist, der des zarten Mädchens Busen umschwebt und zum Himmel den Schoß macht – ahnden nicht, daß aus alten Geschichten du himmelöffnend entgegentrittst und den Schlüssel trägst zu den Wohnungen der Seligen, unendlicher Geheimnisse schweigender Bote.
Pfeiffer
Was die Folgen chronischen Drogenkonsums betrifft, so hegte ich selbst lange Zeit Vorstellungen, wie man sie in einer psychiatrischen Klinik typischerweise erhält: Daß nämlich die Drogenabhängigen willensschwache, unaufrichtige Menschen seien, die sich sozial, körperlich, psychisch in unaufhaltsamem Abstieg befänden. Demgegenüber lernte ich in Südostasien Chinesen kennen, die seit Jahrzehnten Opium, aber auch Morphium-Injektionen in beträchtlichen Dosen gebrauchten, dabei aber sozial gut eingeordnet blieben und sich körperlich und geistig in unauffälliger Verfassung befanden. Daneben gab es freilich auch einzelne Schreckensbilder völliger Verwahrlosung und Kachexie; die aber betrafen Menschen, die sozial derangiert waren und bei denen der Drogenerwerb auf Kosten der Ernährung ging (Pfeiffer 1986).
So gewann ich den Eindruck, daß die Zwielichtigkeit der Abhängigen, die ich aus der psychiatrischen Klinik in Deutschland kannte, nicht eigentliche Folge des Drogengebrauchs sei, sondern des Lebens in einer zwielichtigen gesellschaftlichen Position. Und daß auch der extreme Verfall bei den einzelnen derangierten Opiumabhängigen nicht unmittelbar auf den Drogengebrauch zurückzuführen sei, sondern auf Begleitumstände der Verwahrlosung wie Unterernährung, Austrocknung und Infektionskrankheiten.
Bei der Zufälligkeit und Spärlichkeit meiner Beobachtungen kommt diesem Eindruck kein wissenschaftliches Gewicht zu. Ich fand ihn aber durch bessere Kenner des Fragenkomplexes bestätigt, so durch Westermeyer (1982), der umfangreiche Untersuchungen über den Drogengebrauch bei den Hmong in Laos vorlegte, also bei den Opiumbauem des `Goldenen DreiecksA.
Opium ist dort in jedem Haushalt vorhanden, wenigstens als Medizin, und ein beträchtlicher Teil der Dorfbevölkerung (vielleicht ein Viertel der Männer) raucht es zumindest gelegentlich. Aber auch bei Personen, die täglich eine mäßige Menge Opium aufnehmen (ein bis zwei Pfeifen am Abend) kommt es im allgemeinen nicht zu Entziehungssymptomen und Dosissteigerung. Das bedeutet, daß auch chronischer Opiumgebrauch nicht notwendig zur Abhängigkeit führt. Selbst die verhältnismäßig sehr kleine Zahl der wirklich Abhängigen blieb sozial integriert und stand – mit seltenen Ausnahmen – weiter im Arbeitsprozeß. In keinem Fall kam es zu antisozialen Handlungen.
Solche Mitteilungen verdienen unsere Beachtung, um so mehr, als sich die stabilisierende Auswirkung gesellschaftlicher Integration auch im Hinblick auf andere Drogen feststellen läßt. In bezug auf den Alkohol hat Solms (1964) das am Beispiel französischer Weinbauern dargestellt. Viele von ihnen sind körperlich von Alkohol abhängig (Entziehungserscheinungen), haben Organschäden (Leber), weisen vielleicht auch psychische Veränderungen auf (blande Euphorie), doch kommt es nicht zur sozialen Entgleisung. Vielmehr halten sich diese Menschen – gesellig und genießerisch trinkend – im Rahmen der gesellschaftlichen Ordnung, die sie gegen eine fortschreitende Devianz und Depravation absichert.
Die schweren Verfallserscheinungen, die wir bei chronischem Drogengebrauch finden, sind also nicht notwendige Folge davon, sondern sind durch einen komplizierten Zirkel von Ereignissen bedingt, der sich durch folgende Stichworte charakterisieren läßt: Primäre Schwierigkeiten in der Beziehung zur Gesellschaft – Drogengebrauch in Widerspruch zur gesellschaftlichen Norm – fortschreitende Devianz mit Zentrierung des Lebens auf die Droge und Vernachlässigung der Lebensbedürfnisse – körperlicher und psychischer Verfall.
Auf diesem verhängnisvollen, abwärts führenden Weg gibt es allerdings noch einige Faktoren, denen eine mildernde Wirkung zukommt. So entwickeln die Subkulturen der Drogengebraucher Regeln und Empfehlungen für gegenseitigen Beziehungen und für den Umgang der Droge. Weiter bestehen Kneipen, `OpiumhöhlenA und ähnliches, die weniger `Brutstätten des LastersA sind als eine letzte Bleibe für heruntergekommene Drogenabhängige, deren Aufhebung sie vollends auf die Straße verweist. Endlich sollten wir uns dankbar solcher Einrichtungen erinnern, die diesen Menschen (sie gehören gewiß zu den Ärmsten in unserer Gesellschaft) ohne Vorwurf und therapeutische Anforderungen ein wenig Wärme und Zuwendung bieten.
Pfeiffer 1987: 17ff.
Rauwolf
Nit minder findet man allda [nämlich im Basar von Aleppo] auch des gesaffts von Apoteckern Opium, den jnnwonern aber Ofiun genennet, welchen die Türcken, Moren, Persae, und andere mehr völcker einzunemmen pflegen, nit allein kriegen, umb die zeit, wenn sie wider jre feind sollen kempfen und streiten, inen ein gut hertz und starcken muth zu machen: sondern auch zu zeiten des fridens, die sorgen und phantaseyen zu benemmen, oder auffs wenigst zu miltern. Disen essen auch jre Ordensleut, sonderlich aber unter andern die Deruis [Derwische], unnd nemen dessen sovil, das sie gleich darvon schläfferig und unbesunnen werden, darrnit wann sie sich selb in jrer tollen weiß schneiden, hawen oder brennen, sie desto minder schmertzen und wehetagen befinden. Wann nun einer oder mehr darmit also angefangen (dessen sie ohngefehrlich einen Erbis groß zu nemmen pflegen), so könden sie nit wol mehr darvon lassen, es seye denn, daß sie sich in ein kranckheit stürtzen, oder auffs wenigest inen andere neue zufäll erregen wöllen, wie sie solches selb bekennen, wenn sie den einzunemmen etwan underlassen, daß sie sich alsdann sehr übel im leib befinden. Das Opium wird maistthails genommen von köpflein, des weißen ölmohnens, auff ir sprach Cascassch genennet, darein sie (weil sie noch jung und weich) kleine windlein under einander ringsweiß herumb schneiden, dardurch die Milch herauß dringet, welche sie darob stehen lassen, so lang, bis sie ein wenig stocket, alsdann samlen sies erst ein, truckens zusamen in kleine küglen, den wolriechenden seiffenknollen, in jrer runde rund größe nit ungleich. Nachdem aber solch Opium bey jnen sehr im gebrauch, begibet sichs zu Zeiten, das dessen auß übersehen zuuil genommen wirt, wann nun das geschieht, das einem nit geringe gefahr darüber zu gewarten, haben sie denen zu helffen, wie ich bericht worden, eine gute wurtzel Aslab [eine Art des Lerchensporns, der zu den Mohngewächsen gehört] genennet, welche sie sollen alß ein sonder Artzney dafür eingeben.
SQ Rauwolf 1582,
cit. in Seefelder 1990: 67
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